Für eine ganze Woche war Modedesignerin Anna Sui, deren Imperium längst auch die Konsumwelten jenseits der Kleiderstange umfasst – ob Handys für Samsung, Plastikpüppchen für Colette oder Parfum – nach Deutschland gekommen. Grund der ausgedehnten road show: die Lancierung ihres jüngsten Duftes, „Flight of Fancy”, der exklusiv bei Douglas erhältlich ist. Doch statt von Stadt zu Stadt zu jetten, jeweils die gleiche PowerPoint-Präsentation durchlaufen zu lassen und für Fotos zur Verfügung zu stehen, tourte Anna Sui (46) mit einer Art Fashion Master Class durch die Standorte der Modeschule Esmod.
Auch in München konnten einige Studenten der Abschlussklasse einen Look ihrer Kollektion sowie ihre Skizzen und Bildwelten präsentieren – und erhielten Feedback von Sui persönlich. Als Fan von Suis originellem Stil-Remix, von der Suzy-Wong-Ästhetik à la Shanghai in den 20er Jahren bis zum zickigen „Gossip Girl”-Look, war es mir ein Fest, der bereits mit einem Lebenswerk-Preis ausgezeichneten Designerin im Anschluss einige Fragen stellen zu können.
Ihr Unternehmen wächst stetig, Sie involvieren sich in so viele unterschiedliche Projekte – würden Sie sich immer noch „nur” als Designerin beschreiben oder sind Sie längst Unternehmerin geworden.
Ich bin tief im Herzen immer noch Designerin, und das wird auch so bleiben. Mein Talent ist die kreative Arbeit und der versuche ich auch so viel Zeit wie möglich zu widmen. Ich bin nicht wirklich eine business woman oder Firmenlenkerin. Ich bin Designerin.
Zu den Studenten der Esmod München haben Sie gerade gesagt, sie sollten jede Sekunde ihrer Ausbildung zum Ausprobieren, Träumen, Experimentieren, „Rumspinnen” nutzen, denn die, oft restriktive Wirklichkeit des Modegeschäfts käme noch früh genug. Das klang fasst wehmütig …
Na klar. Denn genau das passiert. Vor allem, wenn man zunächst für ein Modehaus, jemand anderen, arbeitet, stehen deren Bedürfnisse im Vordergrund. Dann muss man sich darauf konzentrieren, was diese Marke braucht und wie man eine verkaufbare Kollektion für sie kreiert. Da wird die eigene Arbeit rasch kommerziell. Umso wichtiger ist es für junge Designer, sich im Studium nach Herzenslust auszudrücken, quasi ihr Inneres auszuschütten, um aufnahmefähig zu werden. Als professioneller Designer, vielleicht mit eigenem Label, geht es später eben um mehr als Selbstverwirklichung, es ist commercial art, man entwirft für einen Kunden. Und trägt Verantwortung für Angestellte.
Haben Sie sich trotz allen Zwängen des Geschäftes einen kreativen Fluchtpunkt erhalten können? Wo und wie brechen Sie aus?
In meinen Modenschauen! Da balanciere ich alles aus – was ich will und was Kunden wollen. Ich baue immer wieder Looks ein, wo einige im Publikum sagen „Ich kann nicht glauben, dass Sie DAS über den Laufsteg schickt!”. Das sind die Stücke, die ich selbst brauche, damit meine Arbeit den Stress wert ist.
Die Welt der Parfums und der Modekosmos nähern sich immer stärker an, manche Marken haben nur als Duft überlebt. Wie sehen Sie diese lukrative Symbiose zwischen Textilien und Aromen?
Ich glaube, es gibt keinen Designer, der nicht ein eigenes Parfum zum Ziel hat. Die Schwierigkeit besteht darin, die ästhetische Welt eines Modeschöpfers mit einem Duft zu interpretieren. Ich finde nämlich, dass so ein Duft den Käufer genauso mitreissen muss, wie es eine Fashion Show kann. Für mich geht es hier wie da um etwas Märchenhaftes, Fantastisches, um ein Ideal, das dem Publikum oder Parfümkäufer als sehr erstrebenswert erscheint. Was ich an Parfüms mag, ist, dass sie meine Ideen noch viel weiter tragen, zu mehr Menschen, als es meine Kollektionen können. Denn, sein wir ehrlich, manchmal ist das eigene Budget eben nicht so üppig, als dass man sich gerade ein Babydoll-Kleid von Anna Sui leisten könnte. Da schlägt dann die Stunde meiner Düfte.
In den letzten Tagen war in der New Yorker Lokalpresse zu lesen, Sie wären still und heimlich zur Immobilien-Queen avanciert. Was ist dran?
Das ist total übertrieben. Ich habe einfach nur die Angewohnheit, Nachbarn zu bitten, mir Bescheid zu geben, wenn sie ausziehen …
Stichwort Demokratisierung der Mode: Vor zwei Jahren entwarfen Sie für und mit der Supermarktkette Target eine Kollektion, jetzt wurde bekannt, dass Missoni im Herbst ebenfalls für Target designen wird, von den Projekten, die H&M mit den Größen der Branche realisiert ganz zu schweigen. Ist der Flirt der Premium-Marken mit der Discounter-Theke nicht riskant?
Für mich ist die Zugänglichkeit meiner Kreationen immer schon das Wichtigste gewesen. Als ich mein Unternehmen gründete, ging es mir nie darum, im Elfenbeinturm der Couture zu thronen. Ich wollte keine übertriebenen Hürden zwischen Kunden und unserer Marke. Die Zusammenarbeit mit Target hat die Schwelle natürlich so weit gesenkt, wie wir es nie allein könnten. Und das Target-Team, dass die Stoffe einkauft und meine Ideen umgesetzt hat, war einfach großartig.
Sie waren also richtig in charge, haben den Prozess aktiv begleitet und nicht bloß ihren Namen verkauft.
Schauen Sie sich doch einfach die Kollektion an, die 2009 in die Läden kam!
Die Modewelt erlebt gerade einen riesigen Innovationsschub: Kaum mehr eine runway show, die nicht live ins Internet übertragen wird, es wird getwittert, gefacebooked und alles in Echtzeit. Wie lange kann das Live-Erlebnis einer Modenschau da noch überleben?
Nichts wird jemals die Eindrücke und die Atmosphäre ersetzen, die man fühlt, wenn man direkt am Laufsteg sitzt. Sie sehen die Schnitte durch Ihre Augen, nicht durch ein Kameraobjektiv. Sie hören die Stoffe rascheln. Sie fühlen die Bässe der Musik. Die Elektrizität in der Location, die transportiert sich einfach nicht über ein Video. Ich habe mir schon einige live streams von Kollegen angesehen und immer gedacht „Das war’s?”, während mit Bekannte, die dort waren, so von der Energie usw. vorgeschwärmt hatten.
Ein Live-Event ist aber auch eine Frage des Geldes. Nicht jeder hat die 100 000 oder mehr Euro, die so ein Model-Spektakel verschlingt …
Sicher, es gibt Designer, die sich auch ohne Laufsteg ausdrücken können. Und für Newcomer. Was mich betrifft, kann ich dazu aber nur sagen: Ich biete eine verdammt gute Show!
Diese Frage ist etwas ernster, aber in diesem Jahr muss man sie einfach stellen, gerade einer Wahl-New-Yorkerin wie Ihnen. Wenn im September im Lincoln Center die New York Fashion Show stattfindet, sind die Schrecken des 11. Septembers 2001 genau zehn Jahre her. Was für Gedanken gehen Ihnen dazu durch den Kopf?
Ich denke in jedem Jahr an damals, wenn 9/11 näher rückt. Denn: Die Katastrophe ereilte Manhattan einen Tag vor meiner Modenschau. Und ich war in meinem Atelier mit den letzten Anproben beschäftigt, als jemand etwas von einem Flugzeugabsturz murmelte. Ich war aber so in meine Arbeit vertieft, dass ich es nur beiläufig wahrnahm. Dann rief mich ein Freund an und fragte „Was machst du noch in deinem Büro?”. Ich wusste noch gar nicht, was los war. Dann holte mich die Wirklichkeit ein – und man weiß plötzlich, was Priorität hat. Ich habe zu meinen Angestellten gesagt, dass sie erstmal einfach im Studio bleiben sollten, das wäre sicherer. Was stimmte, denn es war zunächst schier unmöglich, per Subway oder Bus irgendwohin zu kommen. So konnten alle sich ein klein wenig sammeln und später die Not-Busse nehmen, die über die Brücken in die anderen Stadtteile fuhren.
Letzte Frage: Ich weiß, Sie machen keine Männermode mehr, aber gibt es in einer Schublade Pläne für ein Männer-Parfum?
Früher präsentierten Rockstars meine Entwürfe für Männer auf dem Catwalk – und ich habe immer noch einige Herren als Privatkunden. Deshalb sprechen mein Team und ich oft über einen Duft for men, auch in den letzten Tagen wieder. Ich glaube aber, dass ich unbedingt eine Männerkollektion bräuchte, um ein solches Parfüm-Projekt zu unterstützen. Hm, wer weiß, vielleicht kommt es einmal dazu …
Anna Suis neuer Damenduft „Flight of Fancy”, den Nahtlos! Leser bereits in unserem Oster-Gewinnspiel gewinnen konnten, ist in Deutschland exklusiv bei Douglas erhältlich. Der Preis: 30 ml kosten 29,95 Euro, es sind auch 50 bzw. 100 ml erhältlich.
P.S. Hier noch ein Video, in dem sich Anna Sui und Marc Jacobs bei ihrem Lieblingsitaliener unterhalten. Über die wilden 90er und wie es ist, bereits für sein Lebenswerk ausgezeichnet worden zu sein:
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