Den Kinderstar-Ruhm überlebt: Exklusiv-Interview mit Mezzosopranistin Sandra Schwarzhaupt in New York

Als wir hörten, dass Sandra Schwarzhaupt – gefeiertes Sopran-Wunderkind der Neunziger – heute in New York lebt, mussten wir einfach versuchen, sie zu treffen. Seit der Box-Hymne „Hero of the Night” für Axel Schultz und Titeln wie „Written in the Stars” sind Matthias und ich Fans der Sängerin, die als 10-Jährige debütierte.

In diesem jungen Alter spielte sie ein Mozart-Album ein, trat kurze Zeit darauf in der ehrwürdigen New Yorker Carnegie Hall auf sowie in weiteren Konzerthäusern in Europa. Es folgten der Jugend-Förderpreis, ein Weihnachtskonzert für Alt-Bundeskanzler Kohl 1991, ein weiteres Mozart-Album sowie Opernrollen und Liederabende rund um die Welt.

Als Teenie versuchte sich Sandra Schwarzhaupt zunächst erfolgreich in der Popmusik: zwei Chart-Platzierungen, drei CDs, mehrere Singles resultierten daraus. Erfolge, von denen sie sich mittlerweile künstlerisch Lichtjahre entfernt hat.

Nach der Studioeinspielung von Grigori Frids Monooper „Anne Frank” aber verliert sich allmählich ihre Spur, zumindest in den Medien.

Mit reichlich Neugier im Gepäck und Schweiß auf der Stirn – die Hitzewelle strafte Manhattan an diesem Tag mit flirrenden 39 Grad Celsius – eilten wir ins noble St. Regis Hotel, zu unserem Interviewtermin mit Sandra Schwarzhaupt. Und erlebten eine faszinierende junge Frau, die das Wunderkind hinter sich gelassen hat, ihr Talent und eine ungewöhnlich intensive Präsenz keineswegs. Dass sie viel gelernt hat in ihrer bisherigen Karriere, dass Höhen und Tiefen sie früh über ihr Alter hinaus reifer haben werden lassen, das klingt aus jedem Wort. Eines steht nach wenigen Fragen aber fest: Wir treffen in der kleinen Bibliothek des Luxushotels nicht auf einen „gefallenen” Kinder-Star, sondern eine ernsthafte Künstlerin, die den Mut hatte, rechtzeitig aus der oberflächlichen TV-Tingelei auszusteigen und der seichten Muse Adieu zu sagen. Nur im selbstgewählten US-„Exil” konnte sie ihre Stimme und Ausdrucksfähigkeit in Ruhe schleifen wie einen Diamant. Mit den Schattenseiten des Showbusiness, in die sie als Teenager ebenso trat wie in (zu) frühes Rampenlicht des Ruhms, hat sich die 33-Jährige wie es scheint ausgesöhnt.

Noch Stunden später werden wir beim Spazieren durch die Nachmittagsglut über das Gespräch diskutieren, Zwischentöne deuten und all das interpretieren, was Sandra Schwarzhaupt nur mit Blicken und Gesten, nicht aber Worten gesagt hat.

Die erste Frage hat gleich mit dem Wetter zu tun. Ich weiß von Sängern, vor allem Pop-Sängern, die beispielsweise länger in Las Vegas gastierten, dass heiße Luft der Stimme ganz schön zusetzt. Wie geht es Ihnen damit im mörderischen New Yorker Sommer bei knapp unter 40 Grad?

Mein Rat ist: drinnen bleiben, viel trinken, gut essen und wenig Bewegung in der Hitze. Einfach auf die Arbeit konzentrieren, auf das, was wichtig ist. An die vielen Klimaanlagen hier muss man sich allerdings gewöhnen, vor allem im Kino ist es frostig. Wenn man darüber jedoch ständig nachdenkt, dann ist man nicht mehr Sänger, sondern ein Sklave der Singerei.

Warum überhaupt New York? Wie lange sind Sie jetzt genau hier?

2006 habe ich mein Künstlervisum erhalten und es gerade verlängert. Es gilt immer für drei Jahre. Ich möchte danach die Green Card bekommen, hoffentlich klappt’s. Zum Warum: Meine Gesangslehrerin Sonja Karlsen lebt hier und ich brauchte einen Ortswechsel für mich selbst. Und auch für meine Weiterentwicklung, um mich auf das vorzubereiten, was ich zukünftig erreichen will. Somit bin ich später eigentlich „zurückgekehrt”, denn hier in Manhattan fing damals alles an, hier hatte ich meinen ersten Gesangslehrer. Meine Eltern und ich waren oft in New York, meine Großmutter hat auch noch eine Wohnung hier, was sehr hilfreich ist, wenn man länger bleibt. Und das lustige ist: Ich arbeite jetzt mit der Lehrerin zusammen, die mir damals geholfen hat, ganz am Anfang. Sonja ist also mit der wichtigste Grund, warum ich zurückkam.

Wo leben Sie?

Auf der Upper West Side. Sehr ruhig, es gibt etwas Grün, gute Restaurants. Ohnehin hat man in dieser Stadt alles, was man braucht.

Angefangen haben Sie ganz, ganz jung, ohne richtigen Gesangsunterricht. Oder wirkte das immer nur so?

Mit zehn Jahren wurde ich sozusagen „präsentiert”. Es sieht dann alles so spielerisch aus, ich weiß. Vor meinem Debüt hatte ich zunächst einen Privatlehrer in der Schweiz. Statt schwimmen zu gehen habe ich einmal die Woche gesungen. Eher ungewöhnlich in dem Alter, aber das hat mich vorbereitet. Und hier in New York habe ich dann Privatunterricht genommen und jeden Tag intensiv an meiner Stimme gearbeitete und die Mozart-Lieder einstudiert, mit denen ich bekannt wurde. Wie gesagt, was bei mir als Kind so mühelos und „natürlich” aussah, hatte schon eine Basis. Dennoch: Wenn man sich mehr auf das eigene Talent verlässt und nicht mehr so sehr auf die Technik besteht, dann wird für die Stimme aus „ohne nachzudenken” schnell „gefährlich”.

Das will ich später noch genauer wissen. Noch mal ganz harmlos: Ihre Lieblingsorte in New York?

West Village. East Village. Central Park, ich jogge sehr gern um das Reservoir. Die Skyline, die man da sieht, ist einfach sehr außergewöhnlich. So wie die ungeheure Dynamik der Stadt – immer wieder gibt‘s was Neues! Und immer dann, wenn man kurz meint, schon alles gesehen zu haben.

Das heißt, eine Rückkehr nach Europa steht nicht bevor?

Doch, selbstverständlich! Ich versuche jetzt so langsam wieder, alles zu balancieren. Mein Singen in Europa und mein Singen hier in New York bzw. Amerika, denn ich vermisse meine Heimat. Wurzeln sind Wurzeln, und die gehen nicht verloren.

Warum treffen wir uns eigentlich im – wunderschönen! – St. Regis Hotel?

Weil ich hier oft im Winter eine heiße Schokolade trinke und es für ein Interview einfach urgemütlich ist.

Klingt total banal aber: Sie leben jetzt vom Singen?

Ja, richtig, vom Singen. Und zwischen Engagements und Konzerten arbeite ich seit 2007 mit Kindern. Ich gebe ihnen Gesangsunterricht und bringe in einer Filmschule 4- bis 12-Jährigen bei, vor der Kamera zu singen, sich zu bewegen, zu schauspielern. Das macht mir einen Riesenspaß, denn wie man als Kind das Singen empfindet und auch den Unterricht, daran kann ich mich noch sehr gut erinnern!

Was sind die nächsten Projekte in Ihrer Solokarriere?

Ich werde am 24. Januar 2012 in Houston die Jane Seymour in Donizettis „Anna Bolena” singen, im Oktober habe ich hier in New York als Solistin mit der Kammer Philharmonie in Gustav Mahlers „Lied von der Erde” gesungen. Einige Aufnahmen und Produktionen sind derzeit in der Schwebe, darüber kann ich noch nicht sprechen. Ich habe ja 2006 das Stimmfach gewechselt: vom Sopran zum lyrischen Mezzosopran. Wegen des Pop-Singens war ich in stimmlichen Schwierigkeiten und musste die Stimme deshalb von Grund auf neu aufbauen, ein neues Instrument lernen, sozusagen. Es war sehr wichtig mit meiner Lehrerin hier in New York die Zeit und Ruhe zu haben, um jeden Tag am neuen Repertoire zu arbeiten. Das sind ganz andere Rollen. Ich habe vorher die leichten Sopranrollen gesungen: Pamina, Despina, Susanna, Adele und so weiter. Als Neu-Mezzo musste ich auch da umsatteln und trainieren, trainieren, trainieren.

Sind das jetzt weniger Rollen? Schränkt das die Auswahl ein?

Nein, gar nicht. Als lyrischer Mezzo mit Koloratur singe ich alles, was zu meiner Stimme passt. Die Einarbeitung aber braucht einfach Zeit, das macht man nicht mal eben zwischen zwei Fernsehsendungen.

Sie haben gesagt, Sie waren in „stimmlichen Schwierigkeiten”. Wie schlimm stand es genau um Ihre Stimme?

Wollen wir etwas Drama einbauen?

Aber gern!

Ja, Drama ist immer gut. Wenn man als Kind gesungen hat, dann macht man das sehr oft „auf Natur”. Ich habe sehr hart gearbeitet, trotzdem war aber eine natürliche Begabung da, welche mir das Singen ermöglicht hat. Das war mir damals alles nicht bewusst, der ganze physiognomische Ablauf. Dann hatte ich auch eine zeitlang eine kleine Pop-Karriere, und das ist eine andere Gesangstechnik. Ich sang ohne felsenfeste Technik, und dann auch noch Pop …

Gab es eine richtige Stimm-Krise, hat ein Arzt gesagt „Oh, oh …”?

Nein, mit meinen Stimmbändern war Gott sei dank noch nichts. Ich habe selber gemerkt, dass der eine Ton nicht mehr so kam, ein anderer nicht mehr so gut saß. Hinzu kam, dass sich meine Stimme von Natur aus eher in der Mezzo- als in der Sopran-Lage wohlfühlt. Also mussten wir alles von der Mittellage bis in die Höhe wieder aufbauen. Das passiert vielen, dass man sich zurückziehen muss. Ich wäre dumm gewesen, hätte ich weiterhin eine Pop-Karriere angestrebt aus lauter Ego. Da hätte ich niemanden einen Gefallen getan. Am wenigsten mir selber.

Sie haben mal gesagt: „Das Pop- Business ist wie ein Fleischwolf“.

Richtig

Liefen Sie Gefahr, darin zermalmt zu werden? Beließen Sie es deshalb mit einem Ausflug in diese Welt und kehrten zur ernsthaften Muse, der Klassik zurück?

Ja, beides stimmt. Ich glaube, jedes Geschäft kann gefährlich werden, wenn man nicht vorsichtig ist. Man muss wissen, wann man die Bremse ziehen sollte, wie viel man sich zutrauen kann. Der Druck, Platten, CDs, Downloads zu verkaufen, der steht im Mittelpunkt. Und wenn man nicht mehr so viel verkauft, dann heißt es: „Der Nächste bitte”. Maßvoll mit seinen Ressourcen umzugehen ist immens wichtig, gerade in einer hektischen Stadt, einer hektischen Welt.

In den USA gilt gerade Jackie Evancho von „America‘s Got Talent” als ein neues Wunderkind. Sie ist elf, also nur unwesentlich älter als Sie bei Ihrem Debüt damals. Wenn Sie so ein kleines Mädchen im Scheinwerferlicht sehen, was denken Sie dann?

Ich hoffe für sie, dass sie die richtigen Leute um sich herum hat. Mit einem Schutz-Team kann alles gut gehen, mit Menschen, die Mentoren und Beschützer zugleich sind. So ein Umfeld wünsche ich ihr. Ohne Aasgeier.

Stimmlich ist Jackie Evancho ja irre weit, ihre Bewegungen dagegen sind noch reichlich mariniert, als hätte man Montserrat Caballé geschrumpft. Ist jemand wie diese große Kleine ein Phänomen oder stilisieren Medien es nur gern so?

Es verlangt vor allem immensen Mut, sich vor ein Millionenpublikum zu stellen. Und das fasziniert uns alle daran. Wenn sie liebt, was sie tut – wunderbar. Und wenn sie sich später umentscheidet, dann hat es sich auch gelohnt. Ich habe kurz 20 Jahre zurückgedacht, als ich sie gesehen habe.

Wie bei Ihnen damals wirkte es jedenfalls nicht so, als würde jemand gegen seinen Willen gepusht.

Nein, bin ich ja auch nicht.

Es sind also nicht immer bloß die dämonisierten stage moms & dads, die ihre talentierten Kinder auf die Bühne hetzen und verheizen. Es gibt auch einen jenen frühkindlichen Ehrgeiz und Drang, aller Welt zu zeigen, was man kann. Über dieses „Star-Gen” wird aber nie gesprochen.

Ich fand, dieser drive kann einen sehr verleiten. Wenn das Ego größer wird als die Leistung, die dahinter steckt, dann wirdʼs kritisch. Das darf nicht passieren. Es gibt Antrieb und Antrieb: den des Egos und den, der Musik und dem Komponisten gerecht zu werden. Daran hab ich natürlich damals als Kind nicht so sehr gedacht, ich habe einfach Freude gehabt.

Nun ist New York ja die Stadt der Broadway-Musicals. Schauen Sie sich selber so etwas gern an oder ist Ihnen das zu trivial?

Keineswegs, ich habe neulich „Billy Elliot” gesehen. Eine sehr bewegende Vorstellung. Die Leistung des jungen Hauptdarstellers und Tänzers: unfassbar!

Was hat Ihnen kürzlich noch gefallen?

Oh, ich gehe nicht so häufig, weil ich keine Zeit habe. Ich bin Zuhause und arbeite, das ist eigentlich der ganze Tag. Aber wenn ich Zeit habe, dann gehe ich in ein gutes Musical.

Würde Sie das selber reizen, Sie haben ja eine Zeit lang selbst Klassik mit Pop gemischt.

Aber nie richtig Musical. Höchstens in ein Konzert habe ich mal ein Stück dieses Genres eingebaut.

Wäre das jetzt falsch, stimmlich?

Es ist eine andere Technik. Die Musicals verlangen ein sogenanntes „Belting”, diese nach oben ziehende Bruststimme. Ich glaube, das wäre auch nicht das Richtige für mich.

Dann reizt sie eine Crossover-Karriere à la Sarah Brightman nicht.

Nein.

Wie finden Sie so einen Erfolg wie den von Miss Brightman, die alles schon gesungen hat: von Musicals bis Mantras …

Da muss sich jeder selbst verwirklichen
Sandra Schwarzhaupt

Haben Sie seit „Hero of the Night” für Axel Schulz jemals wieder einen Boxkampf gesehen?

Durch Zufall im Fernsehen.

Eine letzte Frage zur Vergangenheit. In einem Wikipedia-Eintrag steht: „der große Durchbruch auf dem Musikmarkt gelang ihr jedoch nicht”.

Hab ich gar nicht gesehen, aber ich schließe mich dieser Meinung an.

Ihre Karriere war auf Megaerfolg angelegt, und anfangs lief alles nach Plan.

Gut, ich war viel im Fernsehen, das heißt aber dann nicht gleich „Megaerfolg”. Ich glaube, dass das Kindsein und das sehr frühe „In-die-Öffentlichkeit-Treten” viele Leute sehr neugierig gemacht hat. Und ich hätte so natürlich weitermachen können. Es war meine Wahl, das alles radikal abzubrechen. Ich wusste einfach tief in mir, dass ich keine Popsängerin bin, kein Künstler, der „nur” populär sein will. Ich gehörte da nicht hin, wollte keine Show mehr, keinen Medienrummel.

Wie definieren Sie heute Erfolg für sich?

Wenn man sich etwas hart erarbeitet hat, es beherrscht, und es dann wohlverdiente Früchte trägt. Nichts künstlich hochgepusht. Man will sich als Künstler ja beweisen, und das über lange Zeit zu tun, das ist das schwierigste. Ganz knapp gesagt: Erfolg ist das, was später kommt. Nach vielem Ausprobieren, auch nach Irrwegen. Jeder Weg dorthin ist verschieden.

Wo sind Sie auf diesem Weg?

Darüber denke ich nicht nach. Mein Erfolg ist, dass ich weiß was ich will und wohin ich möchte. Dass ich meine Kunst liebe, meinen Gesang und dass ich eine harte Arbeiterin bin.

Eine Traumrolle, eine Traumarie?

Die Jane Seymour, die ich jetzt singen darf, ist definitiv eine. Dann die Adalgisa aus „Norma”, eine weitere grandiose Rolle, die alles enthält. Menschlichkeit, Tragik … Wenn man die Tragik im eigenen Leben nicht hat, muss man sie auf der Bühne ausleben.

Sie haben schon als Teenager in der Carnegie Hall gesungen, viel erreicht in jungen Jahren. Wie motivieren Sie sich heute, so hart an Ihrer Kunst zu arbeiten?

Ich weiß einfach, dass es keinen kürzeren, keinen schnelleren und schon gar keinen besseren Weg gibt. There is no shortcut! Wirklich nicht. Daran ändert auch ein eventueller früher Hype nichts. Im Gegenteil: Es geht dann weniger rasch, weil man abgelenkt ist. Ich bin in meine Arbeit verliebt. Das hilft über jede Durststrecke hinweg, wenn es beispielsweise dauert, bis ein Ton so sitzt, wie er sitzen soll.

Haben Sie Vorbilder?

Viele. Ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll. Lebend?

Alle, die Ihnen wichtig sind.

Von den jungen Sängern möchte ich Elīna Garanča nennen. Sie ist wirklich eine vollkommene Sängerin, die jede Rolle spielen kann, die einfach alles hat: Stimme, Technik, Musikalität, Wissen, Aussehen. Und wenn ich jetzt Maria Callas sage, rollen Sie sicher mit den Augen. Dabei war sie eine einzigartige singende Schauspielerin. Dann noch Montserrat Caballé für ihre Piani, für ihre Kultiviertheit. Edita Gruberová war immer schon eine große Künstlerin und Sängerin. Und eine Technikerin. Diana Damrau übrigens auch.

Diana Damrau lebt auch in New York, richtig?

Sie ist zumindest oft hier, glaube ich.

Aber man hängt dann nicht zusammen ab oder trifft sich … in der Oper.

Nein, ich kenne sie nicht persönlich.

Gibt es Operncliquen oder ist das Singen eher eine Solodisziplin?

Cliquen gibt es natürlich überall, aber ich bin in keiner. Übrigens habe ich eben ein Vorbild vergessen: Joyce DiDonato, ein fantastischer Mezzosopran.

Dank sozialer Netzwerke wie Facebook, Twitter und Google+, dem Internet insgesamt, wird von Künstlern eine Menge verlangt. „Nur” an sich und seiner Profession zu arbeiten reicht längst nicht mehr. Eigenvermarktung ist angesagt, die Gier des Publikums nach mitunter intimsten Details wird immer größer. Können Sie sich dem entziehen?

Ich frage mich eher, ob wir wirklich immer alles über andere wissen müssen.

Das ist für Entertainer wie Ashton Kutcher inzwischen eben gar keine Frage mehr.

Ich bin nicht Ashton Kutcher. Nein, das ist für mich nur Ablenkung. Ich muss mich auf das Wesentliche konzentrieren.

Und die Beschäftigung mit Ihrer Stimme, neuen Partituren füllt den Tag recht gut aus, oder?

Richtig

Die Anne-Frank-Oper von Grigori Frid, die Sie 2003 einspielten, ist Ihnen eine echte Herzensangelegenheit geworden. Wie fing das an?

Meine damalige Lehrerin Ruthilde Boesch hat mir das Werk in die Hand gedrückt und gefragt, ob ich daran interessiert wäre. Dann habe ich mir die Musik, die Noten angeschaut und war mir nicht sicher, ob ich das lernen könnte. Doch sie sagte: „Du kannst das!”

Es ist also anspruchsvoll.

Sehr anspruchsvoll! Ich weiß nicht, ob Sie es gehört haben, aber es ist musikalisch schwierig zu lernen, extrem atonal und man braucht Zeit, um sich einzuhören. Mit dieser Oper bin ich sehr gewachsen über die Jahre, ich habe sie immer besser kennen- und lieben gelernt. Den Text sowieso, das „Tagebuch der Anne Frank” habe ich als Kind schon gelesen. Die musikalische Fassung von Grigori Frid ist für mich wie zu einem Baby geworden, dass ich auch hier in New York versuche, öfters aufzuführen. Auch in Europa sind wir damit schon in Schulen gewesen. Da haben Kinder, die normalerweise auf iPad oder iPod starren und mit ihren Gedanken woanders sind, plötzlich genau hingehört und sich den Text überhaupt und mit ganz anderen Augen angeschaut. Und darum geht es mir: Dass man was damals geschehen ist nicht vergisst, dass es nicht noch einmal passiert und unsere Augen offen bleiben. Dieses Stück wird aus diesen Gründen mein Begleiter bleiben.

Wann wird man Sie in Europa, vielleicht auch in Deutschland sehen?

Ich hoffe sehr bald, lieber gestern als heute.

Wie stellen Sie sich das vor? Befürchten Sie, dass die Klischees zurückkehren, die neugierigen Fragen?

Ich weiß es nicht und ich will es auch nicht wissen. Das liegt in der Zukunft und ist jetzt nicht wichtig. Es passiert, was passieren soll. Ich bin einfach allen wohlgesonnen. Ich liebe mein Land und ich möchte überall singen. Ich bin nur ein Künstler, der seinen Beruf so gut ausüben möchte wie er kann.

Also wir wünschen Ihnen jedenfalls, dass Sie dort auch auf Ihr „Jetzt” und Ihre Zukunft angesprochen und nicht auf das Wunderkind von einst reduziert werden.

Natürlich, aber es ist ja zu erwarten, dass die Leute einen so in Erinnerung haben. Es ist OK. It is what it is.

Fotos: PR

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Veröffentlicht von

Siems Luckwaldt

Siems Luckwaldt ist seit über 20 Jahren als Journalist und Redakteur tätig. Seine Themen: Interviews, Mode, Lifestyle, Uhren, Modernes Leben. Weitere Angebote: Corporate Publishing, Social Media Storytelling, Podcasts, Coaching