Ich kann mich noch gut daran erinnern, als ich Chalwa Heigl kennen lernte. Sie war mit kuschliger Kaschmirmode unterwegs und machte in den sachlich nüchternen Redaktionsräumen von „how to spend it” in Hamburg Station. Und ich will wirklich nicht total eso-plemplem klingen, aber sie brachte die Sonne mit, ein inneres und äußeres Strahlen, eine Positivität, ein ansteckend breites Lächeln. Wir sahen uns ein- bis zweimal im Jahr, zu flauscheweichen Pullovern, Twinsets und Kleidchen gesellten sich Naturkosmetikprodukte. Dann war eine zeitlang Funkstille.
Als Chalwa das nächste Mal auf der Besuchercouch im Stubbenhuk saß, hatte sie eine kleine liebevoll gestaltete Schmuckschachtel dabei. Darin verbargen sich putzige Miniküchlein. „Was ist das denn?“, fragte ich. „Das sind unsere Gugl”, antwortete Chalwa fröhlich. Und erzählte mir von ihrem spannenden Vorhaben, mit Gourmet-Guglhupfs en miniature das deutsche Naschwerk und süße Catering zu revolutionieren. Toll, dachte ich damals. Selbst gerade dabei, über die Zukunft nachzugrübeln und neugierig auf Start-up-Storys und mutige Gründungsgeschichten.
Kaum mehr als ein atemloses Jahr später trafen wir uns in München wieder. Höchste Zeit also für unsere Kulinarik-Abteilung auf Nahtlos! einmal genau nachzuhaken, wie Chalwa auf den Gugl kam.
Chalwa, die Geschichte, wie du den Gugl erfandst, ist alles zusammen: Da geht es um eine Top-Karriere, einen ersten Ausbruch, einen Neubeginn, der fast zum burn-out führte, schließlich eine Reise zurück zu dir. Und dann, hoppla, kam der Mikro-Kuchen. Nimm uns bitte mit zum Anfang.
Gern.
Startpunkt war deine erfolgreiche PR- und Eventagentur, die du an den Branchenriesen TBWA verkauftest. Du bist mitgewechselt, hast für den Konzern neue Standorte aufgebaut und die Fusion mit Ketchum PR mit eingefädelt. Richtiges big business. Du hast dennoch die Reißleine gezogen.
Mir wurde die Politik in so einem großen Netzwerk am Schluss einfach zu viel. Ich wollte wieder allein etwas bewegen, ganz direkt. Also habe ich nach dem letzten großen Deal gekündigt und meinen verbliebenen Anteil verkauft. Doch ich war nun für ein Jahr für die deutsche PR-Branche „gesperrt”.
Das nahmst du zum Anlass für einen radikalen Tapetenwechsel.
Ich hatte die Nase voll von Deutschland, wollte eigentlich auswandern. Hier in München hatte ich alles aufgelöst. Meine Super-Wohnung in der Reichenbachstraße gekündigt, mein James-Dean-Porsche-Cabrio 356 verkauft (heute könnte ich heulen!), meine Sachen überseefertig gepackt, den Rest bei meinen Eltern eingelagert. So gar meinen Freund hatte ich verlassen – und bin erst einmal nach Kapstadt geflogen.
Was hast du dort gesucht?
Ich musste einfach raus. Mir war alles zu taff, ich hatte einen Burn-out und dachte mir, die Welt ist woanders besser. Also nahm ich mir eine Wohnung in Kapstadt und sagte meinen Eltern, ich würde sie sicher bald anrufen, und dann könnten sie mir meine verbliebenen Kisten nachschicken.
Aber Kapstadt war dann doch nicht das Traumziel?
Dass ich zunächst dort landete war sowieso purer Zufall. Ich hatte keinen Plan, aber einen guten Freund in Kapstadt, einen Fotografen. Warum nicht dorthin, dachte ich. Mir war das aber dann doch viel zu American, Rassismus und Kriminalität waren ein zu großes Thema. Trotz door man beispielsweise wurden bei meinem leeren Auto, das direkt vor der Tür stand, alle Scheiben eingeschlagen. Alles Dinge, die man erst beim Leben in Kapstadt bemerkt, nicht bei ein paar idyllischen Urlaubstagen in dieser eigentlich schönen Stadt. Doch in der Fremde plötzlich aufpassen und sich dreimal umdrehen müssen? Danach hatte ich nicht gesucht.
Also ging es weiter. Nach Indien.
Genau, ich dachte mir, jetzt fliegst du lieber dorthin, wo du dich auskennst. Und in dem Ashram in Poonah, in den ich dann fuhr, war ich sechs Jahre zuvor schon einmal gewesen. Ich mietete eine Wohnung dort, lernte Inder kennen und verbrachte ganz viel Zeit in Mumbai.
Das wundert mich. Eigentlich sagen doch alle, in Bombay landen und eine Stadtrundfahrt – schön und gut. Aber dann schnell raus aus dem Moloch und ab aufs Land.
Das stimmt schon alles, was die Leute sagen. Aber für mich hat dort das umgekehrte Gefühl eingesetzt wie in Kapstadt. Während mir dort das „Auf der Hut sein” die schönen Seiten der Stadt verleidet hatten, gehörte die unfassbare Armut der Menschen in Mumbai und alles, was daraus folgt, schnell für mich dazu. Ich gewöhnte mich rasch an die Bilder der Stadt.
Was hast du dort gemacht?
Ich habe natürlich die ganze Zeit versucht, einen Job zu landen. Doch bald kontaktierten mich deutsche Firmen aus dem Film- und IT-Bereich und fragten mich, ob ich nicht als kulturelle Übersetzerin arbeiten wolle. Denn die Inder ticken schon anders. Aber ich habe abgelehnt, ich wollte mir ja nicht den gleichen Stress an meinen Fluchtort importieren. Doch im Mai 2009 änderte sich das alles schlagartig.
Warum?
Der Sommer kam, und ich dachte, ich pack es nicht. Kein Wunder, dass die reichen Inder rasch vom Süden in den Norden ziehen, um diese Hitze auszuhalten. So hatte ich mir das auch nicht vorgestellt. Erst auszuwandern, und dann jedes Jahr im Sommer wieder umzuziehen, um nicht völlig zu verdunsten. Und: Das Kasten-System machte mir auch schwer zu schaffen. Das habe ich bis heute nicht verstanden. Wenn man mit den Menschen redet, da merkt man es quasi physisch, dass die Kaste dazwischen steht, man gar keinen Zugang bekommt. Wie eine Religion, nur viel tiefer verwurzelt, fast schon genetisch. Ich wusste plötzlich, hier werde ich nie dazugehören.
Weiter ging es – mit einer Stippvisite in Deutschland.
Ich war eigentlich auf dem Weg nach Portugal, weil ich dachte, vielleicht wäre jetzt Europa nicht schlecht”. In München wollte ich nur kurz ein paar Freunde sehen. Doch schon die Taxifahrt vom Flughafen zum Gärtnerplatz war wie ein Zeichen, ein böses Omen. Die ganze Fahrt über hat der Taxifahrer nur gemeckert. Nonstop. Es wäre alles so schrecklich, die Regierung kriege überhaupt nichts auf die Reihe … Dann fuhren wir an der Maximilianstraße vorbei, und ich – frisch aus Indien zurück – sah Porsche, Mercedes, noch einen Porsche, und schüttelte innerlich den Kopf. Wovon redete dieser Mensch eigentlich?
Wie lange warst du da insgesamt fort gewesen aus Deutschland?
Acht Monate. Und bei diesem Kurzaufenthalt konnte ich noch mal mit anderen Augen erleben, wie gut es uns geht, welchen Luxus wir für selbstverständlich halten, wie sorgenfrei wir durchs Leben gehen können.
Dann kamst du nach Lissabon …
… und dort lernte ich den Fado kennen. Und dachte mir, ne, das geht auch nicht. DIe Leute sind so ungemein schwermütig, Ich musste weiter, bin nach Sevilla gefahren, und dort hätte ich auch leben können. Die Leute sind extrem cool drauf – aber du findest einfach keinen Job. Die Arbeitslosenquote ist gigantisch, und dort sich als Deutsche auch noch reinzudrängeln, nein, das war es nicht. Und dann bin ich schließlich zurückgekehrt.
Und bist gleich durchgestartet, oder?
Ja, ich war kaum zwei Wochen wieder hier, da rief mich eine Freundin an, ob ich nicht die Kampagne für das Kaschmir-Label Allude von Andrea Karg machen möchte. Ich habe sofort mein Netzwerk angezapft, gepitcht – und gewonnen. Kurz darauf kam die Galerie Zink als Kunde hinzu, dann Value Retail mit Wertheim Village und Ingolstadt Village. Und schließlich die Kosmetikmarke Primavera. Und dann war ich an einem Punkt, an dem ich eigentlich nicht sein wollte. Ich brauchte Angestellte! Meine Lösung damals: Ich schlug den Kunden vor, eine Assistentin für mich im jeweiligen Unternehmen anzustellen. Das war das beste System ever. Ich war durch die Kollegin ganz nah dran am Unternehmen – und gleichzeitig irre effektiv.
Klingt wieder nach Erfolg. Und doch setzte allmählich ein innerer Wandel ein bei dir, oder?
Ja, denn bald darauf merkte ich bei neuen Anfragen, dass ich beim Thema Marketing & PR für andere nicht mehr „zog”. Ich wollte zur Abwechslung mal ein eigenes Projekt groß machen. Meine erste Idee: ein Yoga-Center. Ich war ja durch Indien und auch davor schon total yogi-mäßig unterwegs gewesen, eigentlich ein logischer Schritt. Ich habe das aber dann mal durchkalkuliert und gemerkt, dass man damit auf keinen grünen Zweig kommt. Zumindest ich nicht, ich bin halt nicht Jivamukti.
Wir nähern uns dem Gugl …
DerGugl war eigentlich totaler Zufall. Die Mutter meines Freundes bringt uns immer einen Kuchen mit, wenn sie uns besucht. Einen Guglhupf. Ich bin aber eigentlich gar nicht so eine Süße und dachte jedes Mal: „Oh nein, sie hat sich so viel Mühe damit gemacht.” Aber man isst nun mal nicht eine ganze Woche zu zweit an so einem Kuchen herum und schließlich landet er …
Das tut einem richtig weh, gerade wenn man, wie du, in Indien war.
Eben. Hm, dachte ich, warum gibt es von Kuchen eigentlich nicht so eine Sushi- oder Tapas-Varinate. Wo man hier und da ein wenig nascht, auf hohem Niveau probieren kann und keinen Kuchenbrocken abarbeiten muss. Kurz darauf kaufte ich mir in einem Coffee Shop einen Muffin. Ich saß vor diesem bröseligen fettigen Ding, das total nach Backpulver schmeckte, und dachte: Das muss doch besser gehen! Dabei, überlegte ich, haben wir im internationalen Vergleich eine der ältesten Back-Kulturen. Doch was wird uns vor allem angeboten: Donuts, Muffins, Cupcakes, Macarons, Petit fours – aber eigentlich nichts traditionell Deutsches im Segment der Miniküchlein. Was wäre denn typisch deutsch? Der Guglhupf, dachte ich.
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Und so hat Chalwa Heigl dann mit Sterneköchen und Bäckermeistern feine Kuchenpralinen in vielen verschiedenen Geschmacksrichtungen entwickelt und im Frühjahr 2010 als DerGugl lanciert. Ein Riesenerfolg, sowohl bei den ausgesuchten Verkaufspartnern wie Mutterland in Hamburg oder Käfer in München wie auch im Online-Shop oder per Bauchladen-Catering auf Festen und Empfängen. Und auch auf meinem Abschiedskonzert aus Hamburg im letzten Juni! Mich selbst hat unter anderem Chalwas Gugl-Erfolgsgeschichte dazu animiert, im September 2010 Nahtlos! zu starten und auch noch zu weiteren Projekten inspiriert.
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